Es ist nun schon viele Jahre her, daß die nachfogend beschriebene Einmaligkeit in der Geschichte der Röntgen-Aufnahmetechnik zufällig entstand, und es ist völlig ausgeschlossen, daß dies noch einmal geschieht. Ich behaupte sogar: niemand wäre in der Lage, eine entsprechende Aufnahme bewußt herzustellen…
Vorab: niemand ist zu Schaden gekommen, kein Patient wurde einer über die diagnostisch notwendige hinausgehende Strahlendosis ausgesetzt, weder Bedienpersonal noch Unbeteiligte wurden verletzt – nur der herbeigerufene Techniker hatte für eine Weile tiefe Furchen auf der Stirn.
Kurzum: der Techniker war ich, und mir wurden einige Röntgen- Filmaufnahmen vorgelegt:
(Leider ist nur eine davon noch erhalten, die ich erst kürzlich hocherfreut wiedergefunden habe.)
Im unteren Bereich des Bildes ist der Schatten eines Knaufes zu sehen, den der Patient / die Patientin mit Sicherheit nicht etwa verschluckt hatte. Diese Abbildung ähnelte verteufelt einem sowohl am Aufnahmetisch als auch am Lungenstativ tatsächlich vorhandenem Bremsen-Feststellknauf, und man nahm als sicher an, daß seine Abbildung auf dem Film durch Rückstreuung von Direkt- oder Streustrahlung enstanden sei.
Allerdings: Schon aus geometrische Gründen war dies eigentlich völlig unmöglich: Knauf und Röntgenkassette befanden sich in der gleichen Ebene nebeneinander.
Wie kommt der Knauf auf den Film? Noch dazu: Die verwendeten Filmkassetten hatten auf der Unterseite eine Bleiabschirmung!
Abgelenkt durch die Betrachtung der unerklärlichen Abbildung des Knaufes dauerte es eine Weile, bis mir merkwürdige Strukturen im Lungengewebe auffielen: sahen die nicht aus wie Fenster?
Beim Umdrehen des Bildes (und heute können wir das durch Bildbearbeitung noch etwas verdeutlichen) wurde es klar:
Die Röntgenaufnahme enthielt zusätzliche eine fotografische Panoramaabbildung des Alexanderplatzes!
Mir kam ein Verdacht: Ich bat die anwesenden Röntgenassistentinnen, mich in die Dunkelkammer zu begleiten. Das stieß zunächst auf Unverständnis und Ablehnung – man vermutete unseriöse Absichten. Etwas widerwillig und unter der Beteuerung, in der Dunkelkammer sei alles in Ordnung, folgte man mir – und zunächst schien auch alles perfekt zu sein. Der Raum hatte ordnungsgemäß schwarz veklebte Doppelflügelfenster ohne Fehlstellen, aber nach Öffnen des inneren Flügels erwies sich, daß die schwarze Farbe, mit der das Glas des äußeren Flügels versehen war, einige kleine Fehlstellen hatte. Diffuse Helligkeit breitete sich im Raum aus, und das Wunder des abgebildeten Knaufes lichtete sich:
Die Damen „beichteten“, daß sie in den vergangenen Tagen wegen der sommerlichen Hitze den inneren Fensterflügel geöffnet hatten. Am Fenster stand das Aufbelichtungsgerät, mit dessen Hilfe damals die auf einem Papierstreifen aufgedruckten Patientendaten auf den noch unentwickelten Film übertragen wurden. Der Bedienhebel hatte exakt die Form des abgebildeten Knaufes, der also durch das eindringende Tageslicht als Schatten auf dem Film abgebildet worden war.
Zusätzlich aber hatte eine der kleinen, punktförmigen Fehlstellen der schwarzen Farbe des Fensters als Lochkamera fungiert und so eine fotografische Abbildung der nahestehenden Gebäude erzeugt.
Skurril! Wer bekommt so etwas hin? Nur der Zufall…
Michael Fratzscher